Gedanken, Life

Der Fall Lena | Sexismus und Bodybashing in deutschen Medien

Anna Wolfers Titelbild Lena

Sonntagmorgen ist mir fast der Kaffee zur Nase wieder herausgesprudelt, als ich den „offenen Brief“ an Lena Meyer-Landrut auf NTV.de las. Aber fangen wir von vorne an:

Zuvor hatte sich das andere Extrem, die Bild-Zeitung in einem Artikel intensiv mit den Brüsten von Lena befasst. Es wurde den kompletten Artikel lang spekuliert, ob und wann sie denn während der Berlinale einen BH getragen hat (Ich mein hey, Berlinale…wen interessiert schon die Berlinale) und ob sie denn eigentlich nicht friere?! Als hätten wir in den letzten Monaten seit den unzähligen #metoo Debatten nichts dazu gelernt – Na gut, wir sprechen hier noch immer vom beratungsresistenten Medium BILD.

So weit so gut! als wäre man da nicht schon am Sonntagmorgen mit einer ordentlich ekelerregenden Portion Sexismus bedient, kam jetzt also noch dieser andere Artikel dazu: Da schreibt eine gewisse Frau Sabine Oelmann, Journalistin bei NTV.de einen öffentlichen Brief an Lena Meyer-Landrut, in dem sie sich über ihr viel zu freizügiges Kleid echauffiert, scheinbar angestachelt von den schwachsinnigen Zeilen der Bild. Wenn es das nur wäre, dass sie das Kleid unmöglich findet, ich würde den Artikel vielleicht noch mit „ach da hatte jemand einen schlechten Tag“ abtun und zur Tagesordnung übergehen…

Sabine Oelzen Bio
So stellt sich die Journalistin vor

 

Das war aber noch nicht alles!

Oelmann ermahnt, schimpft, rügt und lobt Lena Meyer-Landrut öffentlich und man hat das Gefühl, sie sei ihre Mutter – ist sie aber nicht! Aber sie gehört eher zu diese Art Mütter, die man früher Nachmittags in Talkshows gesehen hat und glücklich war, nicht die Tochter einer Solchen zu sein…

Frau Oelmann ist offenbar ziemlich beleidigt, weil Lena in ihren Augen der Hauptdarstellerin Marie Bäumer und der Regisseurin Emily Atef zur Premiere von „Drei Tage in Quiberon“ die Show auf dem roten Teppich stahl, denn (aufgepasst!) sie hat genau recherchiert: „Auf jeden Fall hast du, Lena, nun ungefähr 90 Prozent der Fotos dieses Filmabends auf deiner Haben-Seite. Marie Bäumer sieben, Emily Atef zwei, Charly Hübner ist auf einem Gruppenfoto. Das ist nicht fair.“

Mich würde am allermeisten interessieren, in wie weit es Marie Bäumer am Allerwertesten gekratzt hat, dass Lena dieses Kleid trug. Wahrscheinlich ungefähr so sehr, als ob in China irgendwo ein Sack Reis umgefallen wäre, denn es ging hier um die Premiere eines guten Filmes und diesem hat selbst eine Frau Oelmann zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt! Sie hat ihren Artikel lieber der Erziehung Lenas statt einer guten Filmkritik gewidmet…

Ein ewiges Zuckerbrot und Peitsche, zwischen „Es ist so ignorant, dein Verhalten. Auch ein bisschen respektlos“ und „In großer Zuneigung, deine Sabine „.

Lena Meyer-Landrut auf dem Red carpet

Wenn ihr denkt das sei alles gewesen, dann haltet euch fest, denn jetzt kommt öffentliches Bodybashing samt verbaler Ohrfeigen in voller Wucht!

„Mal abgesehen davon also, dass die Farbe des Kleides nicht stimmte (PEITSCHE!) (auch wenn sie sehr schön war) (ZUCKERBROT!), dass es einfach zu wenig Stoff war (wie gesagt, ist nur meine Meinung, das sehen andere anders), und dass es gar nicht um dich ging, wünscht man dir doch mal ganz allgemein einen gesegneteren Appetit.“

Wow! Ich dachte, solch gehässigen, von Neid getränkten Kommentare würde man spätestens mit sechzehn abgelegt haben. In durchgelatschten Ugg-Boots käm ich mir daneben allerdings auch nicht gerade Elfenhaft vor, Frau Oelmann, da gebe ich Ihnen ausnahmsweise mal recht!

„Denn das, was wir dann von dir sehen, ist nun auch wieder zu wenig. Das ist kein gutes Vorbild für die kleinen Mädchen, die normalerweise gerne deine Musik hören. Und ich weiß, ja, es ist spießig und kleinkariert und Mutti mäßig, und andere sagen ‚weniger ist mehr‘ – aber das stimmt eben oft auch gar nicht, was die anderen Leute so sagen. Manchmal ist mehr mehr.

Manchmal ist mehr Stoff gut (keine Burka, falls das jetzt kommen sollte, gähn), manchmal spielt Größe eine Rolle (upps), manchmal ist ‚tiny‘ einfach scheiße, manchmal bedeutet ‚wenig‘ auch irgendwie ‚arm‘, und manchmal spielt auch innere Haltung eine Rolle. Manchmal ist mehr Kopf besser als mehr Körper. Glaub mir: Ich bin eine alte Frau, die schon viel gesehen hat. Und du kannst mehr, als halbnackt auf roten Teppichen rumstehen.“

Wie verbal kann man Ohrfeigen verteilen? Wie wenig konstruktiv kann Kritik sein und wie verletzend wird hier über Jemanden geurteilt, der wahrscheinlich einfach nur einen schönen Abend in einem schönen Kleid haben wollte! Wie viel Missgunst unter uns Frauen immer noch verbreitet ist hat mir dieser Artikel seinmal mehr vor Augen geführt.

Wie wenig dürfen wir Frauen uns sexy fühlen und uns sexy zeigen, ohne dafür auf die Fresse zu bekommen? Zuletzt Jennifer Lawrence, weil sie ein wahnsinnig scharfes Valentino Kleid zur Promoreise ihres neuen Films „Red Sparrow“ trug und dieses bei Londoner Temperaturen auch zeigen wollte, während ihre männlichen Kollegen dicke Jacken für das Foto bevorzugten. Die Medien überschlugen sich und man vermutete, Jennifer Lawrence wär dazu gezwungen worden – Ich glaube, dass jede von uns sich in ein solches Kleid statt dickem Mantel geschmissen  hätte, oder? Wieso dürfen wir nicht einfach Kleider tragen, ohne dass spekuliert wird, ob wir einen BH darunter tragen oder ob man darin zu dünn oder zu dick aussieht?

Warum?!
©VIP.de

Gibt es denn nicht schon viel zu viel Hass und zu wenig Nächstenliebe auf diesem Planeten? Waren wir nicht gerade dabei, uns zusammenzutun und „Female Power“, „Solidarität“ und „Toleranz“ zu leben? Leben und leben lassen?

Als ich den NTV-Artikel und meine Meinung dazu Sonntagmittag auf Facebook und in meinen Instastories teilte, waren mir die Auswirkungen nicht bewusst. So viele von euch schickten mir Nachrichten, in denen sie von ihren Erfahrungen berichteten oder mir schrieben, wie sehr sie meine Meinung teilen würden und froh wären, dass endlich mal über das Thema gesprochen würde.

Eine Person schrieb auch: …habe mich vor Tagen schon total über diesen Artikel gewundert! Auch, dass sich keiner groß darüber echauffiert hat – auf jeden Fall in meinen Social Media-Sphären.“

Warum? Warum werden wir nicht viel lauter wenn es um ein solches Thema geht? Wieso bekommen Katzenvideos mehr Aufmerksamkeit in sozialen Medien als Sexismuss Debatten oder öffentliches Bodyshaming?


Am meisten hat mich eine sehr lange Nachricht beschäftigt und berührt, geschrieben von der 17 jährigen Marina – Mit mehr Verstand und Weitsicht als so manch Erwachsener.

In Zeiten von gesellschaftlichem und technologischem Fortschritt, einer Frauenquote in Führungspositionen und #metoo – und #feminism – Bewegungen in der US-Amerikanischen Filmbranche ist es doch zu erwarten, dass Mädchen und Frauen unserer Generation, in Deutschland und der gesamten westlichen Welt, keine Probleme mit ALLGEMEINEM SEXISMUS haben sollten. Man könnte doch meinen: traditionelle und fast schon historisch wirkende Rollenbilder, sexueller Missbrauch oder jeglicher Ausdruck sexueller Gewalt stünden nicht mehr an erster Stelle der politischen Gesprächsthemen und wären endlich keine Debatte an z.B. Schulen etc. mehr wert.
Ich darf mit Bedauern feststellen, das ist nicht der Fall. Von sexueller Belästigung und Übergriffen jeglicher Art (vorwiegend auf Mädchen und Frauen aber auch Jungen und Männer) abgesehen, ist meiner Meinung nach der ganz alltägliche Sexismus präsenter den je.
Egal wo und wann, ständig wird auf das Aussehen, die ‚FREIZÜGIGKEIT‘ und die Bewegungen von Mädchen und Frauen hingewiesen, darüber geredet und auf das schärfste KRITISIERT (Unterschied zum KRITISCHEN Hinterfragen!!!).
Und warum? Es fühlt sich falsch und intolerant an, es zu sagen, aber es entspricht der simplen Realität: weil es sich um Mädchen und Frauen handelt. Doch wenn es so intolerant klingt, wieso ändern wir unser Verhalten nicht?
Es scheint einfach normal zu sein, auch für weibliche Personen, dass aufgrund des Geschlechtes einer Person, ihre Bewegungen, Handlungen und schlussendlich auch ihre gesamte Persönlichkeit in Frage gestellt und bis auf das kleinste Detail bewertet wird. Wir vergessen oft, dass wir dabei die Person nicht nur oberflächlich, sondern auch persönlich kritisieren und somit eventuell verletzen.
Wir wachsen damit auf, dass sich Frauen in einem gewissen Rahmen entsprechend anzuziehen und zu verhalten haben, ob diese Vorstellungen heute noch von großem moralischen Wert sind und im täglichen Leben einen logischen Hintergrund haben, ist dabei nicht relevant.
Also anstatt z.B. die politische Einstellung und die intellektuelle Position eines 13 jährigen Mädchens zu betrachten, scheint es weitaus interessanter zu sein, ob sie einen BH für ihre, von der Gesellschaft sexualisierten Brüste trägt und sie darauf hinzuweisen, dass sie für ihr Alter „ZU VIEL“ Makeup benutzt.
(Um danach zu behaupten, dass ihre Handlungen doch nur darauf hinauslaufen Aufmerksamkeit zu erlangen und nicht etwa sich selber zu gefallen oder sich wohl zu fühlen).
Selbst wenn die Person noch nicht mal einen Grund dafür hat keinen BH anzuziehen oder die Schminke nicht aus eigener Überzeugung trägt sondern um anderen zu gefallen, ist es doch erstaunlich welches Recht wir uns selber geben, über ihren individuellen Ausdruck ihrer Persönlichkeit (in Form von Stoff und Farbpigmenten!!!) zu urteilen.
Komplimente und konstruktive, begründete Kritik zu äußern um einen respektvollen und friedlichen Umgang im ‚Miteinander‘ zu schaffen ist das eine, aber jemanden aufgrund seines Geschlechtes zu diskriminieren und ihre/seine Einstellungen, aufgrund von absolut persönlichen und sich (vor allem in der heutigen Zeit) wandelnden Rollenbildern, anzugreifen, kann weder für einen selber, noch für die/den Andere*n hilfreich und nachhaltig sinnvoll sein.
Diese Meinung gründe ich, neben meinen persönlichen und an mich herangetragen Erfahrungen, auf den ersten Artikel unseres Grundgesetzes, welcher die Würde eines jeden Menschen voraussetzt, anerkennt und in besonderem Maße schützt.
Zu dieser Würde zählt auch die Freiheit in der Entscheidung welche Kleidung ein Mensch trägt und aber auch, ob sich ein Mensch durch Kleidung/Ausdrucksweise einer anderen Person beleidigt oder angegriffen fühlt.
Die Frage warum man sich angegriffen fühlt und ob dies zwangsläufig mit einer „PROVOKATION“ des anderen Menschen zusammenhängt, muss jeder für sich beantworten, aber wer möchte, dass die eigene Würde, Anerkennung und persönliche Freiheit von anderen Personen akzeptiert werden soll, sollte sich, meiner Meinung nach, dessen bewusst sein, dass Intoleranz, und das (vielleicht auch unterbewusste) Ausnutzen von Autorität nicht zwangsläufig die besten Mittel sind, um den gleichgestellten und demokratischen Austausch von Positionen voranzutreiben.

Marina, 17, Schülerin aus Leipzig

 

 

 

Ich freue mich sehr über Eure Kommentare

Eure Anna ♥

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3 Kommentare

  • Antwort Frau.Teresi 27. Februar 2018 um 9:45

    Toll, dass du das Thema aufgreifst und nochmal einen Artikel dazu erfasst hast! Schlimm finde ich, dass man heutzutage die eigenen Probleme auf andere projezieren muss. Für Frau Oelmann ist es die böse Lena, die es gewagt hat ein viiiiel zu freizügiges Kleid zu tragen…. natürlich hat sich Lena schon Wochen vor der Berlinale jeden Abend darüber Gedanken gemacht, wie sie die volle Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann, um ja die anderen auszustechen!!! ;-). Viel wichtiger fände ich, dass sich Frau Oelmann mal Gedanken darüber machen sollte, warum SIE sich von einer Figur, von einem Kleid und einer Person so angegriffen fühlt?! Haben wir nicht genug Probleme auf der Welt, als sich darüber zu echauffieren, wer wie dick/dünn, groß /klein, zu geschminkt/zu ungeschminkt ist? Ist das nicht jedem selbst überlassen, was er gerne trägt, wie er sich ausdrücken möchte, welchen Stil er hat? Sind wir nicht alles Individualisten ?? Scheinbar nicht und das macht mir Angst, wo soll das noch hinführen?

  • Antwort Aline 27. Februar 2018 um 16:59

    Sehr toll geschrieben liebe Anna.
    Und am coolsten wäre es wenn sich das komplette #teamlena trifft, eine schöne Zeit miteinander verbringt und jede von uns trägt ihr Lieblingskleid

  • Antwort Kurt Brand 28. Februar 2018 um 9:38

    Vorweg: Mir ist völlig wurscht, wer wann und warum welche Kleidung trägt. Mir ist allerdings nicht wurscht, wenn aus solchen Nicht-Events Schlussfolgerungen gezogen werden, die Einfluss auf die Entwicklung unserer Gesellschaft nehmen können.

    In diesem Sinne halte ich das folgende Zitat aus der Nachricht von Marina für falsch: „Egal wo und wann, ständig wird auf das Aussehen, die ‘FREIZÜGIGKEIT’ und die Bewegungen von Mädchen und Frauen hingewiesen, darüber geredet und auf das schärfste KRITISIERT (Unterschied zum KRITISCHEN Hinterfragen!!!). Und warum? Es fühlt sich falsch und intolerant an, es zu sagen, aber es entspricht der simplen Realität: weil es sich um Mädchen und Frauen handelt.“

    Männer kleiden sich (aus welchen Gründen auch immer) bei gesellschaftlichen Anlässen relativ unspektakulär und tragen wahlweise Anzug oder Smoking. Den Höhepunkt der modischen Selbstdarstellung markieren bei Männern in der Regel Krawatte oder Fliege; eher seltener Schuhe. Wenn sich ein männlicher Besucher auf der Berlinale im Borat-Style mit knallgelbem Ganzkörperbadeanzug präsentiert hätte, dann wäre das sicher auch nicht unkommentiert geblieben.

    Ich fand den Kommentar von Frau Oelmann auch piefig und überflüssig, aber jeder blamiert sich halt, so gut er kann. Der Kommentar resultiert nach meinem Empfinden aus dem Weltbild eines Durchschnittsmenschen (nicht negativ gemeint), dem Abweichungen von gesellschaftlichen Regeln und Normen suspekt sind – egal, ob es sich dabei um Männer und Frauen handelt. Das ist das gleiche Denkmuster, das die „Ehe für alle“ oder die Freigabe von Marihuana ablehnt.

    Wenn ein „Paradiesvogel“ sich über die kleinbürgerliche Denke des Durchschnitts lustig macht, finde ich das genauso deplatziert und arrogant. Der Durchschnitt ist meistens deshalb Durchschnitt, weil ihm die Mittel oder auch der Mut fehlen, sich von der Masse abzuheben. So etwas aus der Sicht eines Privilegierten zu verhöhnen, ist noch unpassender, als der Kommentar von Frau Oelmann.

    In beiden Fällen gilt: Hätttest Du doch lieber geschwiegen …

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