#Hasennase, Gedanken, Life

Vom festhalten und nicht loslassen wollen | Lieber Emil…

.Emil und Mama am Strand

 

Als ich neulich durch Deine Enttäuschung über die fehlende Geburtstagseinladung ein paar Artikel gelesen habe, wie man Kinder nach solchen Erlebnissen tröstet und sie selbstbewusster durch solche leitet, war die Antwort eigentlich immer die Gleiche: Redet viel mit euren Kindern, hört ihnen zu  und vor allem – Tut nicht nur so!

Wenn ich ehrlich bin, fühlte ich mich schon etwas ertappt, denn auch ich finde nicht immer die Ruhe zwischen Terminen, Emails und Abendessen kochen, mich intensiv mit Dir hinzusetzen und Dinge aus Dir rauszukitzeln die Dich beschäftigen.

Als am Wochenende Deine Oma hier war und ich im Büro saß, fiel mir auf, dass ihr stundenlang einfach nur am Frühstückstisch gesessen und geplaudert habt. Über Kamele in der Wüste und Hunde, die Balu heissen und über Lego Männchen die übersinnliche Fähigkeiten haben. Ich liebe es so sehr, wenn Du drauf losplauderst, Fragen stellst und wilde Theorien aufstellst, aber dafür musst auch Du in der passenden Stimmung sein.

Fast täglich frage ich Dich, was Du Schönes erlebt hast, was Du gegessen oder in der Kita gebastelt hast und oft antwortest Du: „Hab ich vergessen“, weil Dir auch nicht immer nach reden ist.

Heute war es irgendwie anders. Du versuchst Dich momentan im Rechnen – mehr schlecht als recht wenn wir mal ehrlich sind, aber Übung macht den Meister und unermüdlich bist Du allemal, z.B. bei der Frage „Wie alt ist Opaaaa?“

Diese Frage stellst du jeden Tag mehrere Male und manchmal kannst Du die Antwort sogar schon selbst geben: „Sechundsiebzig“, rufst du von der Rückbank im Auto und oft kommt noch „Bist Du älter oder jünger als Opa?“…Na vielen Dank auch…!

Aber heute kam eine andere Frage – Eine, die Du noch nie gestellt hast:

„Mama, wie alt ist Dein Papa?“

„Mein Papa ist tot…“ antworte ich und auch nach all den Jahren fühlt es sich komisch an. Du sagst „Das weiß ich doch, aber wie lang ist er jetzt schon tot?“

Ich muss kurz rechnen – Kopfrechnen war nämlich auch noch nie meine Stärke. „Neunzehn Jahre“, antworte ich und in meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Neunzehn Jahre sind eine verdammt lange Zeit, aber weh tut es noch immer. Ich war so ein richtiges Papakind und hab furchtbar gelitten als er starb. Neunzehn Jahre, ich war gerade einundzwanzig geworden und ich weiß noch heute, wie es sich anfühlt, wenn man durch Papas Haare gefahren ist. Sie waren so schön weich und voll und haben nach Brisk Haarcreme und Tabak Aftershave gerochen. Viele Jahre danach bin ich oft noch heimlich im Drogeriemarkt in die Männerabteilung gegangen, hab die Tube aufgedreht und daran gerochen – Erinnerungen riechen… Tut weh aber irgendwie auch gut.

Du reisst mich mit der Frage „Ist Dein Papa jetzt für immer tot, kommt er nie wieder zurück?“, aus meinen Gedanken zurück ins hier und jetzt. Ich antworte:

„Ja, er ist jetzt für immer tot“.

„Aber wenn wir alle sterben, dann ist doch irgendwann die Erde leer, dann gibt es nur noch Häuser…!“ sagst Du und ich bin so gerührt und gleichzeitig baff von Deiner Art die Dinge zu hinterfragen und zu erfassen, dass es mich noch Stunden später beschäftigt. Ich habe Dir auf die Frage hin erklärt, dass es ja immer neue kleine Menschen gibt, die heranwachsen, sich verlieben und neue kleine Menschen machen und das dies der Lauf der Dinge ist. Dazu gehört auch, dass wir irgendwann alle mal gehen werden, aber sicher wird es im Himmel spitzenmäßig, denn wir wissen ja nicht was dort für eine super Zeit auf uns wartet. Ich versuche dabei so begeistert wie möglich zu klingen, in Wirklichkeit macht es mich unfassbar traurig.

Ich hatte schon immer Probleme mit dem Thema Tod

und seitdem Du da bist, möchte ich am liebsten die Zeit anhalten. Ich möchte auf Stop drücken und diese so schöne Lebensphase für immer erhalten. Meinetwegen brauchst Du auch nicht mehr zu wachsen! Jetzt gerade bist Du noch so klein, dass du mich abwechselnd in den Schwitzkasten nimmst und dann wieder kuscheln kommst – Ich könnte damit leben, dass es so bleibt. Meinetwegen brauche ich auch nicht vierzig Jahre alt werden in ein paar Tagen, ich möchte lieber „forever neununddreissig“ sein. Ich möchte, dass Dein Opa Ecki für immer so fit bleibt und Du mit Oma Kadi ihr Büro ewig neu „sortierst“ und dass Deine Oma Ursel noch ewig so gut gelaunt mädchenhaft ihre Abenteuergeschichten erzählt. Ich möchte noch immer mit Herzklopfen vor der Bühen stehen, während Dein Papa seine Songs singt und möchte euch Beiden für immer dabei zusehen, wie ihr Lego baut, den Rasen mäht oder Stöcke im Wald sammelt. Ich möchte Dich vor Enttäuschungen bewahren und vor Liebeskummer. Vor allem Bösen dieser Welt und möchte dir die Gewissheit geben, dass alles gut wird…gut ist… Aber in Wirklichkeit möchte ich, dass mir das jemand sagt. Alles wird gut…

Als ich diese Zeilen schreibe muss ich heulen. Weil Du so toll bist, weil ich so unfassbar viel Glück in meinem Leben hatte und habe mit Dir und Deinem Papa und überhaupt und weil ich Angst habe, dass das irgendwann alles weg und vorbei ist und wir nur noch eine Erinnerung sind.

Du schläfst längst. Bevor ich Dich ins Bett gebracht habe, habe ich Dir noch gesagt, wie schön ich unseren Nachmittag und unsere Gespräche fand und mich dafür bei dir bedankt. Wir haben noch gebastelt und Du hast mir ein Bild mit aufgeklebten Glitzerherzchen geschenkt – Okay, es sind neben den Herzchen auch sehr viele aufgeklebte Weingläser drauf, Du kennst mich eben.

 

Emils Bild für Mama

Das Bild wird mich jetzt immer an diesen Tag erinnern und ich hoffe, dass noch unendlich viele dieser Art folgen werden.

 

Deine Mama

 

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11 Kommentare

  • Antwort Annika S. 28. Oktober 2018 um 10:58

    Wow…was für ein Herzensbeitrag. Ehrlich, berührend und so wahr, da kann auch ich meine Tränen nicht aufhalten. Danke, dass Du, liebe Anna, diesen besonderen Tag mit uns geteilt hast 🙂

  • Antwort Frauke 28. Oktober 2018 um 11:08

    Oh Anna, ich kann so gut nach empfinden, was Du gerade fühlst. Mein Junior ist jetzt gerade 12 und wir bekommen so langsam aber sicher ein Pubertier. Er ist im Moment nicht Fisch, nicht Fleisch und ich möchte eigentlich nicht, dass er weiter wächst und nicht mehr mein „kleiner Junge“ ist. Aber auf der anderen Seite freue ich mich über jeden Entwicklungsschritt, den er macht. Da müssen wir einfach durch und Generationen vor uns haben es ja auch geschafft. Vielen Dank für Deinen tollen Blogeintrag. Du bist nicht alleine! <3

  • Antwort Tanja G. 28. Oktober 2018 um 11:20

    Liebe Anna,
    danke für deinen sehr berührenden Beitrag. Ich kann dich sehr gut verstehen. Mein Papa ist seit 5 Jahren tot und er fehlt. Mein Sohn wird jetzt bald 3 und besucht ab und an den Opa im Himmel am Grab oder spricht mit ihm bzw. seinem Foto. Er ist ihm so ähnlich, was ich teilweise erschreckend finde, meistens aber so schön.
    Auch ich möchte oft liebend gerne die Zeit anhalten, aber ich freue mich auch auf das, was uns noch an gemeinsamen Abenteuern als Familie bevorsteht, es sind hoffentlich noch viele schöne Momente die auf uns warten.
    Dir und deiner Familie wünsche ich jedenfalls eine Menge davon!
    Liebe Grüße
    Tanja

  • Antwort Nele 28. Oktober 2018 um 12:22

    Liebe Anna, der Beitrag hat mich so sehr berührt, dass mir die Tränen kamen. Vielen Dank, dass du deine Gedanken und dieses Gespräch hier geteilt hast. Ich wünsche euch viele dieser wunderbaren, schönen Momente, die noch lange passieren. Und Anna, du bist einfach forever 39 😉

  • Antwort Julia 28. Oktober 2018 um 14:05

    Wow! Was für ein wunderschön geschriebener Beitrag!! Da schwingt so viel Liebe mit, ich bin gerührt!! ♡

  • Antwort Clara 28. Oktober 2018 um 19:57

    Liebe Anna,
    Obwohl ich erst 18 bin, noch keineswegs an Kinder denke und mich sowieso vermutlich gerade in einer ganz anderen Phase des Lebens befinde, habe ich nach dem Lesen von deinem Beitrag fast Tränen in den Augen.
    Und ich kann nicht mal genau sagen warum.
    Vielleicht, weil es für mich, die kurz vor dem Abi steht und sich Gedanken machen muss was ich eigentlich danach machen möchte, wie mein Leben aussehen soll, so schön ist zu lesen ist, wie man seinen Weg finden kann. Wie du trotz Schicksale wie der Tod deines Vaters, heute, so wirkt es auf mich, zufrieden mit deinem Leben bist, ja, sogar die Zeit anhalten möchtest.
    Vielleicht aber auch, weil ich auch manchmal gerne jemanden hätte, der sicher weiß das alles gut wird!
    Aber irgendwie hast du mich mit diesem Beitrag optimistisch gestimmt, das Leben meint es sicherlich gut mit uns!
    Danke, dass du ihn geteilt hast!

    Liebe Grüße
    Clara

  • Antwort Carina 28. Oktober 2018 um 23:00

    Was für ein unglaublich schöner und berührender Text. Danke, dass du diesen mit uns geteilt hast?.

  • Antwort Antje 28. Oktober 2018 um 23:08

    Liebe Anna,
    ich bin wahnsinnig gerührt von deinen ehrlichen Worten und mir ist beim Lesen oft der Atem gestockt, weil die Zeilen unglaublich herzzerreißend und berührend sind. Du teilst deine tiefen Gefühle und Gedanken mit uns, dass ist nicht selbstverständlich.
    Deine Worte zeigen, wie schwer Verlust wiegt und dass Tod für immer schmerzt, weil man Geliebtes vermisst (sei es Mensch oder Haustier) im gleichen Atemzug geben sie Hoffung und zeigen, dass Kinder unsere Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachten und wenn wir unseren Blick ein bisschen verändern, auch wir begreifen, wie schön das Leben sein kann, obwohl Schmerz, Trauer und Verlust die Schönheit, Freude, Liebe und den Sonnenschein ab und zu überschatten. Ich selbst bin ein Mensch, der sehr viel über das Leben und das Sein nachdenkt und sich fragt warum diese oder jene Dinge passieren oder eben nicht passieren und oft geben mir Gespräche mit Kindern Antworten auf die großen Sinnfragen des Lebens, wenn ich über die Gespräche mit ihnen nachdenke. Ich selbst bin zwar noch nicht Mami sondern arbeite lediglich mit Kindern aber auch da baut man ein Verhältnis zu diesen auf und kommt an unbewusst manchmal dazu tiefgründige Gespräche zu führen, die einen noch lange bewegen, deshalb berührt mich dein Post auch so sehr. Danke, dass du uns deine Gefühle offenbarst und der kleine Emil kann sich sehr glücklich schätzen eine so liebende Mami zu haben, so wie du dich glücklich schätzen konntest einen tollen Vater gehabt zu haben, der jetzt im Himmel als dein Schutzengel auf dich aufpasst und deine Familie beschützt.

  • Antwort Tanja 29. Oktober 2018 um 9:22

    Ach Anna,

    da liege ich nun, neben meinem Kleinen, der letzte Nacht unzählige Male gekotzt hat und nun endlich schlafen kann. Und heule. Dein Post hat mich wahnsinnig berührt. Du schreibst so schön und ehrlich. So, wie man dich kennt. In Wirklichkeit wird viel mehr gelogen, gerade in Bezug auf die Endlichkeit der Dinge. Danke, für deine ehrlichen Worte.

    Sei lieb gegrüßt.

    Tanja

  • Antwort Sarah 30. Oktober 2018 um 15:33

    Liebe Anna,
    vielen Dank für deine ehrlichen Worte. Jetzt sitze ich hier vor deinem Beitrag und muss die ein oder andere Träne aus meinem Gesicht wischen.
    Mittlerweile sind unsere Töchter fast 8 und 5 und ich frage mich so oft wo nur die Zeit geblieben ist. Es war doch erst gestern als sie meine kleinen Babys waren und nun müssen wir die „kleine“ schon in der Schule anmelden.
    Aber so schwer es doch ist, ist es der Lauf der Dinge und man sollte jede Sekunde auskosten auch wenn es oft schwer ist in der so stressigen Zeit.

    Genieße jeden Augenblick ❤

    Ganz herzliche Grüße
    Sarah

  • Antwort Maja 26. April 2019 um 15:14

    Hallo Anna, das ist ein sehr schöner Beitrag. Könnt ihr euch eigentlich vorstellen, noch weitere Kinder zu bekommen? Wenn man das so liest, kann doch kaum nach einem Kind schon Schluss sein oder? 🙂
    Danke für die ganzen Einblicke.
    Gruß Maja

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